EINE SAU STÜRMT DEN SUSTEN

Ein Tagesausflug muss nicht nur von einem Schlemmerlokal ins nächste führen, sondern kann auch mal sportlich sein. So wie eine Runde durch die Zentralschweiz längs des Vierwaldstättersees und über den Sustenpass – Panorama satt, Fahrfreude pur.

Text Ulrich Safferling | Fotos U. Safferling, PZ Aargau, Grandtour100

Der Weg ist das Ziel, ja, das kennt man. Cruisen von Dorf zu Dorf, Land und Leute geniessen, entschleunigen. Aber manchmal ist der reine Weg das Ziel, die coole Strecke, die Ideallinie. Konzentriert auf das Fahren, lauschend, wie der Motor tönt, spürend, wie das Fahrwerk die Strasse meistert. Unterwegs durch die Landschaft, nicht auf einer abgesperrten Rennstrecke, ganz einfach – Fahren in seiner schönsten Form. Genau das zelebriert die Grandtour 100, ein Ausfahrt-Erlebnis-Konzept von Davide Di Giovanna und Roger Widmer, das sie vor zwei Jahren ins Leben gerufen haben. In diesem Jahr startete die dritte Auflage mit einer Tour beginnend am Vierwaldstättersee: von Rothenburg über die Axenstrasse nach Flüelen, danach die Passfahrt über den Susten und durchs Entlebuch zum Ziel beim Wasserschloss Wyher, fast am Ausgangspunkt der knapp 230 Kilometer langen Reise. Wem die Etappenziele nichts sagen – es ist eine Traumstrecke.

Fahren aus Freude, das ist die Idee. «Davide und ich sind beide Auto-Aficionados», erzählt Roger, «und unsere Freunde und Geschäftspartner sind das meist auch. Aber wir wollten keinen Club gründen, sondern ein markenunabhängiges Treffen, mehr Austausch unter Gleichgesinnten und natürlich unsere Autos geniessen. Deshalb hatten wir die Idee, kein Cüpli-Anlass, sondern Fahrspass pur.» Grandtour ist dafür der perfekte Name, die 100 symbolisierte mal die geplante Teilnehmerzahl. «Davon sind wir aber weggekommen», sagt Roger, «wenn es so viele Autos sind, ist das kaum mehr handle-bar, selbst wenn wir nicht in einer Kolonne fahren.» Diesmal waren gut 40 Autos unterwegs.

CRÈME DE LA CRÈME

Die müssen keine Angst haben, sich zu verlieren, denn es gibt zwar eine empfohlene Strecke, aber jeder kann frei entscheiden, wie er das nächste Zwischenziel erreicht. Das ist über QR-Codes immer abrufbar, sodass jeder den Weg finden kann, sollte er die Gruppe aus den Augen verlieren. Und jedes Ziel ist lange genug geöffnet, sodass niemand in Zeitdruck gerät. «Es ist keine Rallye und kein Rennen», betont Roger. Deshalb spreche man auch nicht die Tuning- oder Racer-Szene an, «safety first» sei selbstverständlich. «Wir wollen alle Spass haben an und auf der Strecke, aber wir sind hier nicht bei einem Cannonball-Rennen. Deshalb erwarten wir von allen Teilnehmern ein korrektes Verhalten im Strassenverkehr und wollen keine PS-Kämpfe.»

Aber das sei auch noch nie ein Problem gewesen, obwohl sich wieder die Crème de la Crème des Automobilspitzensports versammelt hat: Corvette C7, AMG Mercedes GT, Subaru WRX STI, Porsche GT3 RS, BMW M-Modelle, McLaren 720, Audi R8, Lamborghini Aventador – es ist fast ein Genfer Salon, der sich im beschaulichen Rothenburg versammelt. SPIRIT darf mit einem von vier Taycan des Porsche Zentrums Aargau teilnehmen, das den Fahrspass unterstützt. Wird der Elektro-Sportwagen in diesem Feld eine Bella Figura machen? Zumindest fällt er gnadenlos auf, denn unser Taycan ist legendär eingekleidet – als «Sau», so wie der Porsche 917/20 in Le Mans 1971 (Seite 112). So viel sei vorweggenommen: Wo immer der rosa Porsche auftauchte, war besonders die Altersgruppe unterhalb des Führerausweises fasziniert bis begeistert und zückte das Handy.

SCHNURRENDER LÖWE

Während der eine oder andere Youngtimer im Feld mitspielte, waren Oldtimer nicht am Start. «Für die Klassiker gibt es ausreichend Veranstaltungen», erklärt Roger, «da müssen wir nicht noch ein Angebot machen. Wir wollen es unkompliziert halten und haben nur die Kategorie moderne Sportwagen.» Und die zeigten sich teilweise in schrillen Farben von Giftgrün bis Lila. Wie eine bunte Perlenkette zog die Karawane nach dem Start über die Europabrücke in Luzern über Küssnacht am Rigi nach Weggis. Wer den Zmorge-Kaffee versäumt hatte, konnte ihn beim Zwischenstopp am Hotel Friedheim, genauer im Restaurant Gade nachholen und den ersten Ausblick auf den See und die Alpen geniessen.

Das galt auch für die Strecke nach Brunnen, die direkt am Vierwaldstättersee entlangführt und leider nur wenig Haltepunkte bietet, um ein Foto zu machen. Tipp: Kurz vor Brunnen gibt es eine Wendeschlaufe für den Bus samt Parkplätzen, dort ist es perfekt. Danach folgte die naturgemäss stark befahrene Axenstrasse mit zahlreichen Tunnels, in denen sich die Sechs-, Acht- und Zehnzylinder vernehmlich räuspern konnten. Im Gegensatz zum Taycan Turbo S, der konzeptbedingt mehr das schnurrende Kätzchen gab.

Wobei man aber eine Stufe höher greifen muss: Es ist mehr ein Löwe, der hier seine Krallen ausfährt, wenn an allen Rädern die Kraft von 560 Kilowatt zerren – 761 Pferdestärken klingen zwar beeindruckender, aber einfach falsch, wenn mit Strom statt Treibstoff beschleunigt wird. Das reicht für den Standardsprint auf Tempo 100 in 2,8 Sekunden. Das konnten wir nicht nachmessen, aber anhand des unvermeidbaren Kopfnickens bei der Beschleunigung darf man das glauben. Genauso wie 260 km/h Topspeed.

SEGELSPASS HINTERM SUSTEN

Dass sich der Elektro-Porsche für mehr als nur komfortables Cruisen eignet, konnte er nach dem ausgezeichneten Mittagessen in der Company Lodge am Golfplatz in Seedorf beweisen. Nicht auf den paar Kilometern Autobahn bis nach Wassen, sondern auf der Sustenstrasse zum Pass. Immerhin mussten 2,3 Tonnen auf 2224 Meter hochkatapultiert werden. Die merkt man nicht beim Beschleunigen – von dem man gar nicht genug bekommen kann, weil es so spielerisch geschieht –, aber in den Kurven. Dass es dank des unglaublichen Fahrwerks trotzdem reichte, um in der Liga der Supersportwagen am Pass mitzuspielen, zeigt, welches Potenzial in dem Brummer steckt. Die Lenkung passt auf den Punkt, das Gaspedal – na ja, eben ohne Gas – lässt sich fein dosieren und nur an die Bremse muss man sich gewöhnen, weil sie mächtig zupackt. Nicht verkehrt, der frisch eröffnete Sustenpass lockte an diesem Wochenende zahllose Autos, Töffs und sogar Vespas an. Da hiess es Augen auf und immer schön bremsbereit bleiben.

Wenn die Sau den Susten stürmt, fällt die Reichweitenanzeige erwartungsgemäss genauso stürmisch. Zwar hätten die mehr als 340 berechneten Kilometer Reichweite immer für den Ausflug gereicht. Aber wo es hinauf geht, geht es auch wieder hinab und da rekuperierte der Taycan sich nochmal etliche Kilometer zusammen. Man kann sich einen Sport daraus machen, möglichst viel zu segeln, was das Bremsen beinahe überflüssig macht. Und so viel sei verraten, der Taycan segelt schneller den Berg runter als mancher rauf. Was unterm Strich bedeutet – er macht nicht weniger Spass als ein Neunelfer, sondern einfach anders. Schliesslich ist er kein elektrifizierter Neunelfer, sondern ein ganz anderes Auto.

AUSKLANG AM WASSERSCHLOSS

Von Meiringen ging es über den Brünig nach Giswil und dann über die zauberhafte Panoramastrasse ins Entlebuch nach Sörenberg. Die Strasse ist eher ein Strässchen und treffen sich zwei Autos, muss man sich aneinander vorbeischlängeln – vor allem, wenn einer davon ein fast zwei Meter breiter Taycan ist. Aber sportlich fair kamen alle aneinander vorbei und der Ausblick war es allemal wert, immerhin fährt man durch ein UNESCO-Biosphärengebiet. Da fühlt es sich gut an, bis auf ein paar brollgeräusche, flüstergleich durch den Hirzenbadwald zu rollen. Die lange Strecke über den Susten dauerte fast zwei Stunden, Zeit für eine letzte Rast im Thorbach- Beizli in Flühli. Der eine bringt Kaffee weg, der andere füllt neuen nach – Fahren kostet Kraft, wenn man konzentriert am Steuer sitzt und so viele Eindrücke erleben darf. Da wurden alle Er-Fahrungen ausgiebig diskutiert, der geruhsamere Vormittag hatte mit dem sportlicheren Nachmittag eine würdige Fortsetzung.

Die letzten Kilometer vergingen wie im Flug, die fast leere Landstrasse bot noch ein paar Kurven, die das Fahrwerk völlig unbeeindruckt liessen. Der Komfort im Taycan tut wohl nach der langen Strecke, die vom See bis in die Berge mehr als ein traumhaftes Panorama bereithielt. Und nachdem die Strasse einen gerade so herausforderte, dass man jeden Kilometer in seinem Schätzchen auf Rädern geniessen konnte. Am Wasserschloss Wyher wurde sprichwörtlich abgewunken, Ziel erreicht. «Wir hatten den ganzen Tag eine tolle Stimmung», resümiert Roger. «Es war genau die lockere, entspannte Atmosphäre, die es bei der Grandtour haben soll. Und die uns jedes Jahr auf eine neue, aufregende Strecke lockt.»

Übrigens: Das Wasserschloss Wyher ist auch ausserhalb der Grandtour 100 ein empfehlenswerter Ausflug. Sei es bei einem der regelmässigen Kino-Events oder bei einem privaten Anlass.