DeTomaso Vallelunga
Die komplette Geschichte des Vallelunga wurde noch nie aufgeschrieben. Das verwundert nicht, schliesslich wurden nur wenige Exemplare gebaut und das ist lange her. Anhand eines überlebenden Modells und eines DeTomaso-Kenners lüften wir ein wenig den Schleier
Text und Fotos: Ulrich Safferling
Keine Frage: «Der Mann war ein Chaot», sagt Marcel Schaub über den so einfallsreichen wie eigenwilligen Alessandro De Tomaso. Schaub muss es wissen, schliesslich kannte er den Blech-Maestro und seine Fabrik in Modena persönlich. Die sprunghafte Art De Tomasos führte zu mancher Ungereimtheit in der Produktion – was für Automobilhistoriker heute eine ungleich grössere Herausforderung ist als für die Produktion. Damals. Schaub betreut heute einen Schatz an originalen DeTomaso-Unterlagen, Rechnungen und Prospekten, ohne den ein Bericht zwar möglich, aber nicht ratsam ist. Wenn einer über den Vallelunga als Traumklassiker Bescheid weiss, dann er – und so räumt er gleich mit Ungereimtheiten auf.
Die fangen schon beim allgemeinen Rätselraten über die gebaute Stückzahl an. «Es waren 60», sagt Schaub mit Bestimmtheit. Und das ist bemerkenswert, weil die Dokumente nur laufende Chassisnummern von 101 bis 150 ausweisen. «Aber das sind nur die Ghia-Modelle», erklärt der Experte. «Ausserdem gab es zehn weitere: fünf davon hat Fissore in Alu gebaut, das war so etwas wie die Vorserie.»
Fünf weitere baute ebenfalls Ghia, darunter das Werks- oder Museumsauto ohne Fahrgestellnummer. Plus zwei rechtsgesteuerte und zwei weitere, deren Chassisnummern anders als bei den 50 Produktionsmodellen sind. «Obwohl man nicht genau sagen kann, was an ihnen gegenüber der Serie anders ist.», erklärt Schaub. Doch angefangen hat alles mit einem offenen Vallelunga, dem Spider, der schon 1963 vorgestellt wurde.
«Der hat mit dem späteren Coupé nicht viel gemeinsam», erzählt Schaub. «Der Spider war ein Fissore-Entwurf auf einer Käfer-Plattform, während das Coupé später ein eigenes Chassis hatte. Beide wurden von einem Kent-Motor von Ford angetrieben, hatten ein modifiziertes Käfer-Getriebe und die Zahnstangenlenkung vom R4.»
Damit war der Spider mehr ein Renn- als Strassenwagen, der unter 500 Kilo gewogen und bis 220 km/h schnell gewesen sein soll. Das reichte, um mit dem Mittelmotor-Zweisitzer die italienische Meisterschaft in der Klasse Sport bis zwei Liter Hubraum zu gewinnen. Auch in den Folgejahren bestreitet der Fissore-Spider erfolgreich Strassenrennen.
Doch der Spider blieb ein Einzelstück und De Tomaso feilte weiter an seinem Geschäftsmodell, das seine Modena-Nachbarn Ferrari und Maserati bereits erfolgreich praktizierten: Strassenmodelle verkaufen, um die Rennwagenabteilung zu finanzieren. «Ein Coupé versprach mehr Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg», sagt Schaub. «Der Spider, nicht unähnlich dem Porsche 550, war quasi nackt, oben offen und ohne Scheibe. Das bot ein Coupé mehr Komfort.»
Fissore Chefdesigner Franco Maina zeichnete den Spider um: Die Scheinwerfer wanderten hinter Kunststoffabdeckungen wie beim Alfa Spider Duetto, das Heck mit dem Motor wird von einer Panoramascheibe überwölbt. Das Auto wird Vallelunga genannt, nach dem Autodromo, auf dem damals der Gran Premio di Roma ausgetragen wurde und wo De Tomaso gerne seine Autos testete.
Fissore fertigt zunächst zwei, später weitere drei Prototypen aus Aluminium, die De Tomaso am Turiner Salons im Oktober 1964 präsentiert. Besonderheit der Coupés: Der gesamte Karosserieteil hinter der B-Säule kann im Stück aufgeklappt werden. Das Heck ist wie bei einem Rennwagen konstruiert, die Hinterradaufhängung sitzt am Getriebe. Der Zuspruch ermutigt De Tomaso, eine Kleinserie aufzulegen, doch er zerstreitet sich mit Fissore. Und er braucht ihn auch nicht mehr: Im selben Jahr hat De Tomaso Ghia gekauft und damit seine eigene Carrozzeria in Turin.
Dort wird ein Fissore-Modell zerlegt, weil Ghia eine Vorlage für sein Produktionsmodell braucht. «Ich gehe nicht davon aus, dass dieses Muster jemals wieder zusammengebaut wurde», sagt Schaub. Aus Kostengründen entscheidet sich De Tomaso für eine Kunststoff-Karosserie. Der neue Werkstoff ist in den 1960er-Jahren gross in Mode. Auch Lotus und Alpine setzen auf das leichte Material. Das Coupé kommt stilistisch so gut an, dass es 1966 im Museum of Modern Art (MOMA) in New York als Beispiel für technischen Fortschritt und avantgardistisches Design ausgezeichnet wurde.
Ghia übernimmt das Fissore-Design, nur die aufklappbare Heckpartie entfällt. Ausserdem wird ein Hilfsrahmen für Motor und Getriebe konstruiert, die Hinterradaufhängung wird nun am Chassis befestigt. Nur beim Antrieb setzt De Tomaso weiter auf den Kent-Motor, der im Motorsport noch eine grosse Rolle spielen sollte. Damals wurde er als 1,5-Liter von Ford im Cortina eingesetzt und leistete als GT 76 PS. Beim Vallelunga sind etwa gut 100 PS.
Auf Wunsch eines englischen Kunden wird nur einmal ein Lotus-Motor verbaut, der die Fissore-Konstruktion mit der Ghia-Karosserie verbindet. «Es gibt noch mehr Vallelunga mit Lotus-Motoren, aber die wurden nachträglich und nicht ab Werk verbaut», sagt Schaub. Da Motor und Getriebe als tragende Teile ausgeführt waren, wurde die Karosserie durch Vibrationen hoch belastet und erwies sich auf Dauer als zu wenig verwindungssteif.
Während bei den Fissore-Modelle De Tomaso das Chassis baute und dann bei Fissore die Endmontage erfolgte, baut Ghia viele Vallelunga komplett selber auf. «De Tomaso hatte gar nicht die Räumlichkeit für so eine Produktion» erklärt Marcel Schaub. Anhand seiner Unterlagen kann er sogar belegen, dass die Autos sogar direkt von Ghia verkauft wurden. «Die Autos standen auch auf dem Stand von Ghia in Genf, da hatte De Tomaso noch gar keine eigene Präsentation.»
Der grosse Erfolg bleibt mit dem Vallelunga aus. «Die Qualität war zu schlecht», erklärt Schaub. Die Karosserie bekam Risse – wie auch bei Alpine und Lotus – und das Fahrwerk riss gern ab, weil die Aufhängung zu schwach ausgelegt war. Aber das hat De Tomaso dann nicht mehr interessiert. «Er hat nichts wirklich zu Ende gebracht, weil er ständig neue Ideen hatte», bestätigt Schaub. «Die kleinen Fehler an seinen Modellen haben ihn nie interessiert.»
De Tomaso Vallelunga
Baujahr: 1964 – 1967
Motor: 1498 ccm, R4 (Kent), Vergaser
Leistung: 105 PS bei 6200/min
Drehmoment: k.A.
Kraftübertragung: manuelles Vierganggetriebe, Hinterrad
Länge/Breite/Höhe: 3840 x1600 x 1080 mm
Gewicht: 700 kg
Verbrauch: 11,0 l/100 km
Höchstgeschwindigkeit: 215 km/h
Beschleunigung: 10,4 s von 0-80 km/h
Produktion: 50 Ghia, 5 Fissore, 4 Rennautos, 1 Prototyp
Neupreis: ca. 20.000 SFR