Geschichten aus dem Hochadel

Earl Grey und Earl Green nennt Bruno von Nünlist seine beiden R-Types. Wir trafen alle drei bei englischem Wetter – ein Hauch von Regen im Herbstnebel am Hallwiler See. Und […]

Earl Grey und Earl Green nennt Bruno von Nünlist seine beiden R-Types. Wir trafen alle drei bei englischem Wetter – ein Hauch von Regen im Herbstnebel am Hallwiler See. Und bekamen viele Geschichten erzählt.

Text Ulrich Safferling | Fotos Christan Egelmair

SPIRIT BENTLEY Hinten AnsichtEs gibt Geschichten, die klingen unglaublich. Hat in diesem Bentley R-Type in der klassischen Farbkombination «Tudor Grey over Shell Grey» wirklich mal Her Royal Highness Princess Margaret Rose of York gesessen? Bruno von Nünlist schmunzelt. Seit zwei Jahren besitzt er den Bentley und hat viel über sein Auto gelesen, gelernt und erfahren. Und noch mehr über die Historie herausgebracht. Und über seine Vorbesitzer. Es klingt teilweise unglaublich. Aber wo fangen wir an? Beim Modell. Der Bentley R-Type war nach dem Mark VI der zweite NachkriegsBentley, wurde aber nur von 1952 bis 1955 gebaut und war ein Zwischenschritt zum folgenden S1. Es gab wie in guten alten Vorkriegs-Zeiten Coachbuilt-Versionen von Mulliner, Worblaufen oder Park Ward, aber genauso eine Standard-Steel-Karosserie. Technisch war der Bentley eng verwandt mit dem Mark VI und seinem Konzernbruder Rolls-Royce Silver Dawn, der sich aber deutlich schlechter verkaufte. Der 4,5-Liter-Reihensechszylinder wurde vom Vorgänger übernommen. Eine Automatik wurde nur bei den letzten Modellen angeboten, zuerst gab es ihn nur mit einem Viergang-Schaltgetriebe, das letzte, das Bentley anbot. Besondere Erwähnung verdient die Continental-Version des R-Type, die als «Fliegender Teppich» bezeichnet wurde: mit 190 km/h seinerzeit die schnellste viersitzige Limousine der Welt.

SPIRIT BENTLEY LogoDer Bentley R-Type war nach dem Mark VI der zweite Nachkriegs-Bentley, wurde aber nur von 1952 bis 1955 gebaut und war ein Zwischenschritt zum folgenden S1. Es gab wie in guten alten Vorkriegs-Zeiten Coachbuilt-Versionen von Mulliner, Worblaufen oder Park Ward, aber genauso eine Standard-Steel-Karosserie. Technisch war der Bentley eng verwandt mit dem Mark VI und seinem Konzernbruder Rolls-Royce Silver Dawn, der sich aber deutlich schlechter verkaufte. Der 4,5-Liter-Reihensechszylinder wurde vom Vorgänger übernommen. Eine Automatik wurde nur bei den letzten Modellen angeboten, zuerst gab es ihn nur mit einem Viergang-Schaltgetriebe, das letzte, das Bentley anbot. Besondere Erwähnung verdient die Continental-Version des R-Type, die als «Fliegender Teppich» bezeichnet wurde: mit 190 km/h seinerzeit die schnellste viersitzige Limousine der Welt.

SPIRIT BENTLEY aufschriftNur 207 Exemplare wurden gebaut. Die Historie des R-Type beginnt mit William Arnold Lea, einem Bentley-Händler aus Manchester, der das Auto ganze acht Tage hat, bevor er es an den Textilhändler James Orr verkauft. Der leistet sich alle zwei Jahre einen neuen Bentley, fährt den R-Type aber nur ein gutes Jahr, bevor er auf den dritten Besitzer zugelassen wird: den ehemaligen RAF-Piloten Samuel Peregrine «Perry» Tyzack. Der weiss das Auto endlich zu schätzen, und er ist es auch aller Vermutung nach, der einen Höhenmesser im Auto installieren lässt. Dort, wo früher ein offenes Ablagefach war, wird eine Holzklappe eingepasst, die das Altimeter aufnimmt. Perfekt bis zur Holzmaserung, eine Massarbeit. «Und der funktioniert heute noch», sagt Bruno stolz.

Und dann ist da die Geschichte mit Prinzessin Margaret, die gemäss einer Briefnotiz die Freundin von Tyzacks Tochter war. Und dazu der Hinweis, dass «the car had been much at Buckingham Palace». Die Bekanntschaft könnte über den Vater entstanden sein, der als ehemaliger RAF-Pilot wiederum bekannt gewesen sein soll mit König Georg VI., Vater von Margaret und der späteren Queen Elisabeth II. Ein royaler Schimmer über dem Bentley.

Occasion mit Überraschung

SPIRIT BENTLEY ArmaturenAb 1965 fährt David Spiers Paul, ein Londoner Schmuckhändler, den Bentley, der zu der Zeit erst 40’000 Meilen auf dem Tacho hat. Paul kümmert sich um das 13-jährige Auto, dessen originaler Lack in «Velvet Green» offenbar sehr gelitten hatte, und lässt ihn auf die heutige Kombination in Grautönen umlackieren. «Das ist aber perfekt gemacht worden, urteilt mein Garagist», berichtet Bruno. Er musste nur hinten links etwas Farbe ausbessern, sonst ist die Lackierung mit leichter Patina noch gut. Paul fährt nur 100’000 Meilen in 23 Jahren, muss aber zweimal den Auspuff und auch die Kotflügel tauschen lassen. Sogar der Motor wird überholt, doch 1988 steht der Wagen dann zum Verkauf.

Das Connolly-Leder des Fahrersitzes muss getauscht werden, die Teppiche sind zerschlissen und die Holzverkleidung braucht eine Aufarbeitung. Das wird alles noch gemacht, aber auf die Spenglerund Lackarbeiten für 1500 Pfund verzichtet der Händler. Der Unterboden wird versiegelt, was später für eine Überraschung sorgen wird. Und man muss kein Prophet sein, um zu wissen – an dieser Stelle sind es keine schönen Überraschungen.

In diesem optisch nicht perfekten, aber scheinbar ehrlichen Zustand entdecken ihn Kay Warden und Ulrich Wassermann auf einer Englandreise. Nächste Anekdote: Kay Warden ist die Enkelin von May Warden, und die kennt jeder. Sie spielte die legendäre Miss Sophie im Sketch «Dinner for One» schon Ende der 1940erJahre, bevor sie in der bekannten TV-Verfilmung von 1963 auftrat, die alljährlich zu Silvester gezeigt wird.

Rost beseitigt, Motor läuft

SPIRIT BENTLEY Hinten AnsichtDas Ehepaar Wassermann/Warden nimmt den Wagen auf Achse in die Schweiz mit, 1988 eine ordentliche Strecke von London bis ins Aargau. Dort wird der Wagen zur MFK vorgeführt und enthüllt sein Grauen unter der vermeintlichen Schutzschicht am Boden – beide Schweller sind durchgerostet. Ob sich keiner findet, der das reparieren kann, oder ob es daran lag, dass das Getriebe blockierte, und der Bentley hätte abgeschleppt werden müssen? Bruno weiss es nicht. Nur, dass der Bentley ab 1988 in Bremgarten auf einem Tiefgaragenplatz in einen Dornröschenschlaf fiel und niemals eingelöst wurde. Erst 2022 verkauft die «elderly Lady» schweren Herzens den R-Type, als sie keine Chance sieht, dieses Projekt noch zu bewältigen. Ein Garagist beseitigt die Blockade, stellt die Vergaser ein, investiert das Nötigste und – verkauft ihn schleunigst. An Bruno. Der sah zwar die Mängel, verliebte sich aber sofort in den Bentley, der ihn an den Mk VI erinnert, den er früher mal besass.

SPIRIT BENTLEY Motor«Die verrosteten Schweller waren ein Problem, das wollte keiner machen», erzählt Bruno. Erst mit Lars Stalder in Othmarsingen fand er einen Spengler, der die Blecharbeiten für einen Pauschalpreis in Angriff nahm. Und ein Autoelektriker brachte die Blinker wieder zum Leuchten. Der Motor lief dafür spontan wieder an und hatte perfekte Kompression. «Lars ist mal einen Continental mit 4,9 Liter Hubraum gefahren und sagte, mein R-Type muss sich da nicht verstecken», erzählt Bruno stolz. Vor allem der seidenweich laufende Sechszylinder begeistert ihn auf jeder Ausfahrt wieder.

Letzte Tat, um den Veteranenstatus zu erhalten, war eine Reparaturlackierung an der linken hinteren Tür. Danach wurde er noch gründlich poliert, sodass er heute wieder besonders strahlend wirkt. «Alles zusammen hat den Einkaufspreis des Bentley glatt verdreifacht», sagt Bruno mit ernster Miene. Nur über gute Kontakte und mehr als gute Angebote konnte er seinen Bentley-Traum wahr werden lassen. So kam der Engländer wieder art- und vorschriftsgerecht auf die Schweizer Strassen: 2023 konnte ihn Bruno erstmals in der Schweiz einlösen.

«Ich fühlte mich gleich Zuhause»

SPIRIT BENTLEY Besitzer«Ich hatte Glück mit dem Auto», sagt Bruno in der Nachschau. Alle in Auftrag gegeben Arbeiten hätten wie am Schnürchen hintereinander geklappt. Es fing mit der Schweller-Reparatur im Oktober an und hörte mit der Politur im Frühjahr auf. «Sechs Monate ist doch sensationell», strahlt Bruno. «Aber das Auto hat von Anfang an zu mir gesprochen mit seiner Ausstrahlung, das wollte zu mir.» Begonnen hat seine grosse Liebe zu den englischen Edel-Marken schon vor 25 Jahren: «Ich hatte diverse Shadows und Clouds und die Bentleys dazu. Aber mit der Hydraulik fing das Elend an, deshalb habe ich die alten Modelle viel lieber. Die kannst du stehenlassen und sie funktionieren noch, wenn du sie wieder brauchst. Dieser R-Type hat mich sofort an den Mk VI erinnert, den ich mal hatte – ich fühlte mich gleich zu Hause, selbst das Leder roch wie früher!»

Für Bruno sind die beiden Nachkriegs-Modelle Mk VI und R-Type sowieso die letzten echten englischen Bentley, danach sei es amerikanisch geworden. «Die alten Bentley waren noch so robust, die konnten in jeder Kronkolonie fahren und repariert werden. Im Grunde sind es die Vorfahren der heutigen SUV: Man sitzt hoch, hat einen stabilen Leiterrahmen, und es ging nicht per se um Luxus, sondern um Qualität und Langlebigkeit.»

Während die Handwerker im Winter ihrer Arbeit nachgingen, hat sich Bruno um die Vervollständigung der Dokumentation gekümmert. So kennt er die Namen aller Vorbesitzer, hat mit dem Rolls-Royce- und Bentley-Club in England Kontakt aufgenommen und fleissig im Internet recherchiert. Dabei stiess er auf eine alte Zeitungsnotiz, leider undatiert, die von einer Geldbusse gegen den englischen Piloten Perry Tyzack berichtete: wegen gefährlichen Fahrens mit seinem Bentley. Die happige Strafe: 5 Pfund waren 1960 etwa 50 Franken oder umgerechnet rund 100 Liter Treibstoff. Zu guter Letzt hat Bruno noch die Vorbesitzerin in Bremgarten ausfindig gemacht, um sie nach alten Unterlagen zu fragen. Und siehe da, die alte Dame hatte just ihre Verkaufsquittung für den Bentley von 2022 ins Altpapier gegeben, Bruno fischte sie noch raus. Einen Tag später wäre sie für immer fort gewesen.

SPIRIT BENTLEY RückspiegelFür Bruno ist der Bentley R-Type schon längstens eine Herzensangelegenheit geworden: Die Technik wieder zum Laufen bringen, die Schönheit wieder herstellen, ohne die Patina aufzugeben, die Geschichte des Fahrzeugs bewahren und vervollständigen und natürlich – fahren. «Das war zunächst eine teure Angelegenheit», sagt er, «die schlecht eingestellten Vergaser liessen die Treibstoffnadel im Zeitraffer fallen, bis knapp 30 Liter auf 100 Kilometer. Das hätte den Fahrspass schon sehr gemindert.» Aber jetzt hat er einen Experten gefunden, der die optimale Einstellung vornehmen konnte – und den Verbrauch um die Hälfte reduziert hat.

Zum Spass gehörte dafür das kleine Finish, bei dem Bruno gern selbst Hand anlegt. Das gute Connolly-Leder muss man einölen, einölen, einölen: «Dem muss man Sorge tragen, dass es so schön bleibt.» Und er hat Lammwollteppiche anfertigen lassen, die er über die Bentley-Ware legt. «Die wurden zwar 1988 erneuert, aber man hat damals nicht ganz den Farbton getroffen.» Sicher hat der Bentley noch Spuren der Vergangenheit, die ihm die Zustandsnote 1 verwehren. Aber man müsse nicht alles machen, die Freude sei auch so gross für das englische Kulturgut, dass trotz seiner 71 Jahre noch eine verflixt gute Figur macht. Warum das so ist? Bruno kennt das Geheimnis und zitiert keinen Geringeren als Henry Royce: «Quality is remembered long after the price is forgotten.»