Porsche 901 (911)
Der älteste 911er im Porsche-Museum ist keiner – sondern ein 901. Das Kürzel, mit dem die legendäre Baureihe gestartet wurde. Die Rarität ist ein Scheunenfund, der drei Jahre vom Porsche-Werksmuseum aufwendig restauriert wurde. Und dessen Seele und Patina bewahrt blieb.
Text: Ulrich Safferling Fotos: U. Safferling, Porsche AG
Makellos ist er nicht, dieser sehr frühe Porsche 911, den das Werksmuseum drei Jahre lang restauriert hat. Drei Jahre Arbeit und nicht perfekt? Ja und nein. Nicht perfekt im Sinne eines durchrestaurierten Showcars, wie es viele Jahre lang für Concours-Veranstaltungen praktiziert wurde. Der berühmt-berüchtigte Zustand «besser als 1» wirkt zwar makellos, kostet aber das Auto meist seine Seele, weil Hochglanz nun mal keine Geschichte erzählen kann. Das wollte Porsche nicht.
Perfekt aber im Sinne einer authentischen Restaurierung, um dem Scheunenfund seine Patina zu erhalten. Deshalb wurden viele alte Teile und Bleche verwendet, statt das stark verwahrloste 64er-Modell einfach mit Neuteilen aus dem Regal zu komplettieren. Weil Teilebeschaffung und Recherche des früheren Werkszustandes kosten- und zeitintensiv waren, dauerte die Restaurierung am Ende mit drei Jahren fast doppelt so lange wie geplant.
Begonnen hat das Projekt Ur-Elfer am 5. Oktober 2014. Damals rief der Trödeltrupp von RTL II im Porsche-Museum an. In einem Bauernhof in Brandenburg waren die Aufräumer vom Dienst auf zwei alte 911 gestossen. Einer mit der Fahrgestellnummer 300 057. Eine Sensation, denn dies war der 57ste Porsche 911, der gebaut worden war. Damals noch unter dem Kürzel 901, wie das Modell ursprünglich hiess. Weil Peugeot alle Typenbezeichnungen mit der «0» in der Mitte aber für sich reklamierte und Porsche keinen Streit wollte, wandelte man den Modellnamen am 22. Oktober 1964 in 911 ab. Genau an diesem Tag wurde die Fahrgestellnummer 57 als letztes Auto des Tages montiert. Geboren als 901, ausgeliefert als 911.
«Genauso einer hatte uns noch gefehlt», sagt Achim Stejskal, Leiter des Porsche Museums. «Damit hätten wir alle wichtigen Serienfahrzeuge von Porsche komplett.» Keine Frage – kaufen. Zum Zeitwert von 107.000 Euro kaufte das Werk seinen Neunelfer zurück. Zum mehr als zehnfachen Preis, mit dem Vorbesitzer Bernd Ibold gerechnet hatte. Seinen zweiten Porsche 911 von 1968 nahm das Werk als potenziellen Teilespender ebenfalls mit, ausserdem einen ganzen Fundus an Ersatzteilen. Fast 40 Jahre hatte Ibold an seinem rostigen, nicht fahrbereiten 911 festgehalten. Seine Hoffnung, ihn eines Tages selbst restaurieren zu können, erfüllte sich nicht. Aber der Trödeltrupp brachte sein Schätzchen zurück ans Licht. Happy End.
Nicht so für Kuno Werner, Leiter der Museumswerkstatt. Denn das gute Stück im schlechten Zustand wurde zu seiner grössten Herausforderung. «Wir hatten ja keine Vorlage eines 64er-Modells, nach der wir arbeiten konnten.» Also musste er Kontakt zu den wenigen 901-Besitzern knüpfen, um schlicht vergleichen zu können, wie ein 911 aus der frühen Produktionsphase aussah. Hinweise lieferten ausserdem alte Fotos sowie noch vorhandenes Archivmaterial.
«Wir haben viel über den Ur-Elfer gelernt an diesem Auto», erzählt Werner. Schon ein 65er-911 unterscheide sich grundlegend von einem 64er. «Als Faustregel lässt sich sagen, dass beim Serienanlauf nach jeweils 20 gebauten Fahrzeugen neue Spezifikationen und Modifikationen für die nächste Charge galten», sagt er. Man könne davon ausgehen, dass damals jeder 901 mehr oder minder ein Unikat war und weder genau seinem Vorgänger noch Nachfolger glich. Und weil nur 82 Stück vom 901 gebaut wurden und die meisten davon nicht mehr existieren, ist eine originalgetreue Restaurierung eine Riesenherausforderung.
Moment mal, 82 Stück gebaut und Nummer 57 war der letzte 901 – wie kann das sein? Eines von vielen Geheimnissen, die im Zuge des Projekts aufgeklärt wurden. Werner: «Die Autos wurden in Gruppen nach Farben produziert, also beispielsweise erst eine Handvoll blaue, dann schwarze und rote. Die Bestellungen wurden aber den laufenden Fahrgestellnummern zugeteilt. So konnte eine höhere Nummer als 57 in anderer Farbe vor dieser produziert werden.» Was den Modellvergleich bei einer Restaurierung nicht eben einfacher macht.
Ebenfalls entlarvt wurde anhand der Produktionskarte, dass in der Nummer 57 nicht mehr der originale Motor und das Getriebe ab Werk steckte. Keine «Matching Numbers», das gilt bei einigen Oldtimersammlern als Sakrileg. Kuno Werner sieht das entspannt. «Das ist damals mal vorgekommen, dass ein Motor getauscht werden musste. Immerhin wurde hier der gleiche Motortyp eines 901 verbaut, damit passen Karosserie und Motor zusammen.» Gleicher Typ bedeutet Solexvergaser, mechanische Benzinpumpen und die übers Lüfterrad verlegten Benzinleitungen – beim 65er-Modell gab es bereits Webervergaser, elektrische Pumpen und neue Leitungen. Trotz originaler Technik: Laufen tat der Sechszylinder-Boxer nicht mehr. Die Kolben steckten fest und der Kurbeltrieb musste aus neuen Originalteilen aufgebaut werden.
Insgesamt 120 Stunden dauerte die komplette Motorrevision – und war damit ein Klacks gegenüber den 1.000 Stunden, die allein die Aufarbeitung der Karosserie erforderte. Die begann mit einem chemischen Vollbad fürs Entlacken und Entrosten und immerhin einer guten Nachricht: mehr als die Hälfte des alten Blechs war noch verwendbar. Was fehlte – wie zum Beispiel die Türen und die Kotflügel – wurde einem 65er-Teilespender entnommen oder neu nachgefertigt. So besteht Nummer 57 mehrheitlich aus originalen, zeitgenössischen Blechen.
Keine Originalität, man könnte auch sagen keinen Kompromiss, gab es dafür bei der Rostvorsorge und beim neuen Lackaufbau. Grundiert wurde im modernen Kathoden-Tauchbad, demselben, das für heutige Neunelfer verwendet wird. Weil die übliche Tauchtemperatur aber höher und unverträglicher fürs alte Blech ist, wurde das Restaurierungsobjekt noch vor Schichtbeginn durchs Tauchbad geschoben, wenn die Temperatur erst hochgefahren wird.
Keine Alternative hatte das Museum bei der Neulackierung in Signalrot 6407 auf moderner wasser- statt lösemittelhaltiger Basis. Dafür wieder original: Nach dem alten Schwarzlackierplan wurden die Aussparungen für die Armaturen überdeckt, um das Durchscheinen der Farbe an den Spalten zu verhindern.
Doch die aufwendigen Karosseriearbeiten waren am Ende das kleinere Problem. Ein Pfund Blech und zwei Pfund Lack machen eben nur einen Hanomag und keinen alten Porsche aus. Zur grossen Herausforderung wurde für Werkstattleiter Kuno die Suche nach Originalteilen aus der Zeit. Und die Preise. «Zwar ist die Nachfrage für alte Teile klein, aber das Angebot ist eben auch sehr klein», erzählt Werner.
So entdeckte er beispielsweise das passende Lüftungsgitter für den Heckdeckel in Amerika, über dessen Preis er sich lieber ausschweigt. Das Gitter unterscheidet sich nämlich ausgerechnet durch seine «Passungenauigkeit» von späteren Versionen. Es fügt sich nicht plan und bündig in das Blech ein, sondern steht etwas darüber hinaus. Einfacher war die Fahndung nach originalen Scheinwerfern mit dem erhabenen Schriftzug «Bosch» im Glas – dieser Schriftzug ist später in die Streuscheibe integriert und nicht mehr tastbar. Die nicht mehr originalen Antriebswellen liessen sich nur durch Neuteile ersetzen. Und ein Kabelbaum wurde nach Vorlage der Strippen aus einem 911-F-Modell nachgebaut.
Schwieriger schien dagegen der Ersatz des Dachhimmels, der sich erwartungsgemäss in Fetzen präsentierte. Immerhin konnte man noch das Lochmuster in quadratischen Vierecken erkennen, bei späteren Modellen sind es Rauten. Glück gehört bei solchen Aufgaben dazu – das Originalwerkzeug aus den 60er-Jahren wurde gefunden: eine Stachelwalze, mit der das Muster in neuen Stoff geprägt werden konnte. Und auch die Frage nach der korrekten Befestigung der Blinker und Ziergitter an der Front liess sich lösen: Es sind nur Schlitzschrauben.
Eine kleine Herausforderung schienen die Sitze zu werden, denn sie fehlten in Nummer 57. Im Iboldschen Fundus fanden sich zwar Sitze, aber mit fünfstreifigem Pepitamuster, obwohl es sechs Streifen – die Experten sprechen von Pfeifen – hätten sein müssen. Ein Blick in das mitgekaufte 68er-Modell hat Werner und sein Team schnell erleichtert. Dort fanden sich die 64er-Originalsitze, die aufgepolstert und neu bezogen werden konnten. In Pepita natürlich. Auch die Original-Fensterscheiben waren erhalten geblieben, obwohl die Türen in der Nummer 57 fehlten. Sie sind typisch leicht verkratzt und sorgen ebenfalls für Authentizität des Modells.
Den besonderen Touch gönnte Porsche dem Modell, indem die alten Aufkleber der Vorbesitzer an den Scheiben bewahrt wurden. Und die so weiter ihre eigene kleine Geschichte erzählen dürfen. Wie zum Beispiel der Sticker des «Polizei-Sport-Vereins Berlin» links unten an der Windschutzscheibe. Wie Ibold erzählte, habe ihn dieser Aufkleber vor manchem Knöllchen bewahrt. Das waren noch Zeiten …
Respekt, Porsche hat nichts unversucht gelassen, um das bewegte Leben dieses Ur-Elfers zu erhalten. Trotz aller Restaurierungsmühen ungeachtet der Kosten blieben noch Fragen, die der Werkstattleiter bis heute nicht klären konnte. «Wir wissen zum Beispiel nicht, wie der Originalauspuff aussieht. Unserer hatte keinen mehr und die anderen Vergleichsmodelle ebenso wenig. Es gibt keine Muster oder eine Zeichnung. Nur das hinten herausstehende Rohr konnten wir in Grösse und Kontur nachfertigen lassen.» Ein letztes Geheimnis.
Porsche 901 (911)
Baujahr: 1963-1964
Motor: 1991 ccm, B6, Heckmotor, 2 Solex-Vergaser
Leistung: 130 PS bei 6200 U/min
Drehmoment: 170 Nm bei 4600 U/min
Kraftübertragung: manuelles Fünfganggetriebe, Hinterradantrieb
Länge/Breite/Höhe: 4163/1610/1320 mm
Gewicht: 1095 kg
Verbrauch: ca. 15 l/100 Km
Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h
Beschleunigung: 9,0 s von 0-100 km/h
Produktion: 235
Preis: 21.900 DM (1964)