Zeitkapsel aus Biel

Ein originaler Chevrolet Camaro der GM Montage Suisse ist ein seltener Fund. Kein Rost, keine Dellen, wenige Kilometer und nur ein Vorbesitzer. Eine Vorbesitzerin genauer gesagt, und das ist in […]

Ein originaler Chevrolet Camaro der GM Montage Suisse ist ein seltener Fund. Kein Rost, keine Dellen, wenige Kilometer und nur ein Vorbesitzer. Eine Vorbesitzerin genauer gesagt, und das ist in den Augen von Sammler Roberto Bernasconi ein Glücksfall gewesen.

Text Ulrich Safferling | Fotos Christian Egelmair

Ein Camaro aus der Schweiz ist nicht so selten wie eine Blaue Mauritius. Aber seltener als ein Ferrari F40 oder F50. Zwar wurden ungefähr 700’000 Exemplare der ersten Serie von 1966 bis 1969 gebaut, aber nur um die 300 Exemplare in Biel bei der GM Montage Suisse. Dabei waren das die stärksten Jahre in Biel, bei denen rund 20’000 Fahrzeuge pro Jahr vom Fliessband rollten. Bunt gemischt von fünf verschiedenen Marken mit bis zu drei Modellen – eine logistische Meisterleistung. Ein Höhepunkt bedeutet allerdings immer, dass es danach bergab geht. In diesem Fall nahmen die Zahl der importierten GM-Modelle ab 1970 deutlich zu und die Produktion ab, die einst steuerlich begünstigte Montage lohnte sich nicht mehr. Am 14. August 1975 verliess das letzte Fahrzeug, ein Opel Rekord, die Werkshallen. Doch zurück zum Camaro.

Der erblickte 1966 das Licht der Auto-Welt, nachdem ein kleiner Sportwagen von Ford den Markt aufgemischt hatte – der Mustang ab 1964. Sein Mega-Erfolg animierte die amerikanische Konkurrenz, das sogenannte Pony-Car-Konzept zu kopieren.

Bei General Motors hiess das Start frei für den Chevrolet Camaro – ein Plattform-Zwilling zum erfolgreichen Pontiac Firebird. Als «kleines, bösartiges Tier, das Mustangs isst» wurde der Camaro
in der Werbung etwas brachial vorgestellt, erwies sich aber sofort als absoluter Verkaufserfolg. Neben Sechszylindern verbaute man wie bei der hauseigenen Corvette verschiedene Varianten der Small- und Big-Block-Motoren, die in den leistungsstärksten SS- Versionen den Camaro – was aus dem Französischen übersetzt so viel wie Freund oder Kamerad bedeuten soll – sogar zum
Muscle Car mutieren liessen.

BAUSÄTZE IN HOLZKISTEN

In die Schweiz lieferte Chevrolet die Camaro-Bausätze in Holzkisten: Karosserie, Motor, Getriebe und Innenausstattung kamen aus Amerika. Batterien, Reifen, Kühler und Interieur-Teile wurden in der Schweiz beschafft als Teil der staatlichen Unterstützung der heimischen Zulieferindustrie. In Biel wurde alles zusammengesetzt und optimiert, sodass die Qualität der
Schweizer Modelle nicht selten besser war als die der Originale. Bei den ab 1967 montierten Camaros handelte es sich um Coupés mit dem kleinen 4,6 Liter (283 cui) grossen V8, der 198 SAE-PS leistete und in den USA gar nicht angeboten wurde. Ein Jahr später wurde dann ein 5,4-Liter (327 cui) mit 210 SAE-PS angeboten. Als Getriebe gab es optional eine sogenannte Powerglide Automatik oder einen Viergang-Schalter. Die Ausstattung war für damalige Verhältnisse opulent, unter anderem mit elektrischen Fensterhebern, Mittelkonsole, Scheibenbremsen und Servolenkung. 1967 wurden 211 Camaros montiert, 1968 sollen es um die 80 gewesen sein. Und dann war es schon wieder vorbei. 1969 gab es angeblich nur noch Komplett- Importe von Camaros. Einen Verkaufspreis von genau 21’700 Franken dokumentiert die Schweizer «Automobilrevue» für das Jahr 1968, auf deren Titel sogar eine rote Camaro- Innenausstattung abgebildet war. Das war weniger als für einen mickrigen Porsche 912 mit Vierzylinder, waren aber 5000 Franken mehr als für eine Alfa Romeo Giulia Sprint GT oder einen Spider 1600 Duetto. Oder so viel wie drei VW Käfer 1300. Oder – sicher nicht ganz zufällig – genauso viel wie für einen Ford Mustang, natürlich mit Achtzylinder

Der Camaro auf diesen Seiten ist so Original, wie er nur Original sein kann, denn er wurde nie restauriert. «Ich war sofort hin und weg, denn in diesem Zustand findest du so ein Auto ja sonst nie», erzählt Roberto Bernasconi, der nach einem Camaro nie gesucht hatte. «Generell suche ich keine Autos, sondern Autos finden mich.» In diesem Fall über den Umweg eines befreundeten Garagisten, dem die Tochter der verstorbenen Besitzerin 2018 den Camaro angeboten hatte – das Auto musste aus Platzgründen weg. Roberto war beruflich gerade in Mexico, als sein Garagist ihm Handy-Fotos des gerade 50 Jahre alten Camaro schickte.

Guter Zustand, original und noch aus der Montage Suisse – das reichte: Roberto kaufte den Camaro ungesehen, der Garagist kümmerte sich um alles. Nach der Rückkehr aus Mittelamerika
und gründlicher Sichtung des neuen Objekts beschloss Roberto, den Sportwagen wieder auf die Strasse zu bringen und Freude daran zu haben.

15 JAHRE ALTES MOTORÖL

Das war im Grund kein Problem, denn «technisch war das Auto völlig in Ordnung», sagt Roberto. Obwohl der Chevrolet mit 100’000 Kilometern auf dem Tacho zuletzt wohl 15 Jahre am
Stück gestanden war. «Wir haben frisches Benzin eingefüllt, eine neue Batterie angeschlossen und schon lief der Wagen wieder.» Aber 15-jähriges Öl ist natürlich kein Zustand. «Ich habe ihn vorsichtig nur halb warm gefahren, dann das Öl abgelassen und zusätzlich die Ölwanne abgenommen, um Schlacke und Schlamm zu entfernen», berichtet Roberto von der ersten Massnahme. Auch den Zweigang-Powerglide-Automaten habe er einfach leerlaufen lassen und dann wieder aufgefüllt. «Die sind ziemlich schmerzfrei und funktionieren, oder eben nicht. Hier funktionierte alles.»

Selbst die ausführliche Blechkontrolle führte zu keinen Überraschungen: «Es gibt keine einzige Rostreparatur, nur der Lack wurde an zwei kleinen Stellen vor langer Zeit mal ausgebessert. Nach dem Trockeneisstrahlen haben wir noch die originale Rostschutzlackierung am Unterboden gefunden und in den Radläufen war das alte Harz gegen Steinschlag.» Der gute Zustand lässt sich nur damit erklären, dass der Camaro wohl nie oder nur selten im Winter unterwegs und immer geschützt untergebracht war. Auch die belegten 100’000 Kilometer sprechen eher für Kurzstreckenfahrten in so langer Zeit. «Die Dame war hauptsächlich in und um Luzern unterwegs. Nur nach dem Kauf Ende der 1960er-Jahre soll es eine Reise nach Paris gegeben
haben», hat Roberto von der Tochter erfahren.

EIN FRAUENAUTO IM BESTEN SINNE

Die Mutter muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein, die sich kurz vor ihrem 60. Geburtstag noch einen Sportwagen in derauffälligen Lack-Polster-Kombination weiss/rot zulegte. Sie ist
übrigens die einzige Vorbesitzerin, die Tochter hat das Auto nie auf sich angemeldet. Ein Auto aus Damenhand, darin sieht Roberto den Grund für den beeindruckenden Zustand des Interieurs. «Eine Frau pflegt und fährt ein Auto besser als ein Mann, bei dem wäre der Verschleiss grösser gewesen. Auch Damenkleider sindschonender für Autositzbezüge als Nietenhosen und Lederjacken
von Männern. Dieses Fahrzeug spiegelt in allem wieder, dass es von einer Frau gefahren wurde.»

Trotzdem hat Roberto sich zwei Jahre lang Zeit genommen, um die Technik gründlich überholen zu lassen. Die altersbedingten Verschleissteile wie Zündkabel, Schläuche und Gummis wurden getauscht, Bremsleitungen, Zangen und Bremszylinder ersetzt oder revidiert. Sogar den Zwei-Waben-Kühler hat er gegen einen Vier-Waben-Kühler austauschen lassen, um immer auf der
sicheren Temperaturseite zu sein. Und der Camaro dankt es ihm mit seinen Fahrleistungen. «Ich bin noch nie einen so kompakten Amerikaner gefahren», resümiert Roberto, der regelmässig
zwischen Zürich und Tessin pendelt und dabei auch auf den Camaro zurückgreift. «Wenn man ihn vernünftig fährt, kommt man mit zehn bis elf Litern auch hin.» Freude hat der Tessiner auch am originalen Bordbuch samt Benutzeranleitung und Dankschreiben von GM Suisse für den Kauf des Fahrzeugs. Nur das Serviceheft wurde noch nicht von der Tochter gefunden. Und auch zum Leben der Mutter würde Roberto noch gern einiges erfahren. «Vielleicht mache ich mit ihr mal eine schöne Ausfahrt im Auto ihrer Mutter», sagt Roberto. «Da könnte sie mir sicher noch manches Detail aus dem Auto-Leben des Camaro erzählen, der jetzt schon wie eine Zeitkapsel ist, die einen Urzustand nahezu konserviert.»

Aber auch ohne dieses noch nicht gehobene Wissen erfüllt ihn der Camaro mit einem gewissen Besitzerstolz. «Er macht für meine kleine Sammlung absolut Sinn, weil ich mit einem Alfa Romeo 1750 GTV und einem Iso Rivolta zwei quasi technisch artverwandte Autos mein Eigen nenne. Der Camaro hat praktisch die Mechanik für den Iso geliefert, der Iso hat mit Giugiaro denselben Designer wie der Alfa, das passt alles perfekt für mich zusammen. Es war ein schönes Bild, als ich die drei mit ihren aufsteigenden Baujahren von 1968 bis 1970 erstmals nebeneinander stehen sah.» Und natürlich wird der Camaro wie alle anderen Autos von Roberto mit Leidenschaft bewegt. «Je mehr du sie fährst, um so weniger Probleme machen sie», sagt der erfahrene Oldtimer-Liebhaber. «Man muss die Autos fahren, zeigen und leben.»